Anwaltssoftware: RA-Micro Windows 32bit auf dem Prüfstand - Rechtsanwaltskanzlei Herrle

23. November 2010

Urheber- und Internetrecht Jumag Rezension

Anwaltssoftware: RA-Micro Windows 32bit auf dem Prüfstand

Seit 1981 wird RA-Micro als Komplettlösung für den Anwalts- und Notariatsbereich in Eigenentwicklung der Jurasoft GmbH, Berlin, hergestellt und vertrieben. Ausgehend vom Betriebssystem MS-DOS, konzipierte die Jurasoft GmbH RA-Micro vor allem für MS-Windows und OS/2. Da sich in der Praxis OS/2 gegenüber MS-Windows hinsichtlich Stabilität und Geschwindigkeit als überlegen erwies, erwog das Unternehmen 1995, die Windowsversion ganz aus dem Vertrieb herauszunehmen. Die Entwicklung am Markt – der Erfolg von MS-Windows 95 bzw. MS-Windows NT als Standardsoftware – führten dann aber zu einem Umdenken. Nunmehr wird RA-Micro / 32 Bit überwiegend auf der Grundlage der Betriebssysteme Windows 95, Windows 98 und Windos NT 4 angeboten.
RA-Micro-Lizenzen werden pro Arbeitsplatz bzw. Kanzlei vergeben. Die am Arbeitsplatz orientierten Lizenzen bestehen aus verschiedenen Modulen. Das Grundmodul I, die Basisversion, enthält dabei alle wesentlichen Funktionen, welche einen Kanzleibetrieb ermöglichen: u.a. Adreßverwaltung, Aktenregistratur, Gebührenrechungen, Textdatenbanken, Terminverwaltung. Für größere Kanzleien bietet sich zudem das Programmodul II an, das u.a. ein Finanzbuchhaltungsprogramm für Anwälte / Notare für die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten und Einnahmen-Überschuß-Rechnung enthält. Den Bereich der Zwangsvollstreckung hat die Jurasoft GmbH auf das Programmmodul III ausgegliedert. Es enthält neben diversen Mahnbescheiden und einzelnen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auch Möglichkeiten zur Einrichtung von Forderungskonten. Kanzleilizenzen, die unabhängig von der Anzahl der Arbeitsplätze vergeben werden, gibt es für das Notariat und für diverse Datenschnittstellen (Scanner, Mahngericht, Electronic Banking, Inkasso).
Eine Lizenz für den 1. bis 5. Arbeitsplatz kostet für das Grundmodul I jeweils DM 1.500,00, zuzüglich Mehrwertsteuer, für das Programmodul II und III jeweils DM 1.200,00 zuzüglich Mehrwertsteuer. Die kanzleibezogene Notariatslizenz kostet DM 4.000,00 zuzüglich Mehrwertsteuer, die diversen Datenschnittstellen zwischen DM 2.000,00 und DM 4.000,00 zuzüglich Mehrwertsteuer. Für die Programmpflege sind zusätzlich monatlich DM 100,00 zuzüglich 1% des Netto-Lizenzentgeltes und Mehrwertsteuer zu veranschlagen. Programmupdates werden in der Regel halbjährlich ausgeliefert.
Berufseinsteiger (weniger als 30 Monate Zulassung zur Rechtsanwaltschaft) können RA-Micro zu besonders günstigen Konditionen nutzen: Die ersten 50 % der Lizenzgebühren werden nach 12 Monaten, die restlichen 50 % nach 24 Monaten vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an fällig. Zudem entfällt für das erste Jahr komplett das monatliche Entgelt für die Programmpflege. Für das zweite Jahr ist das Entgelt um 50 % reduziert. Erst ab dem 3. Jahr sind für die Programmpflege monatlich DM 100,00 zu entrichten.
Wer sich darüber hinaus erst einmal mit RA-Micro vertraut machen möchte, kann sich eine nicht-lizenzierte Komplettversion zusenden lassen, welche 100 mal aufgerufen werden kann. Wem RA-Micro bis dahin zusagt, kann sich dann die von ihm bereits genutzte Version lizensieren lassen. Daten gehen dabei nicht verloren. In Ergänzung zu den Sonderkonditionen für Berufseinsteiger, ergibt sich daher eine besonders interessante Möglichkeit, diese Kanzleisoftware kostengünstig zu nutzen.
Das Programm wurde mit einem Pentium II Rechner mit 266 MHz, 64 MB RAM und 6,4 GB Festplatte getestet. RA-Micro empfiehlt für einen reibungslosen Betrieb nach Möglichkeit modernsten Hardwareinsatz, was aber in der Regel nicht sein muß. Es geht auch mit weniger Megahertz. Wer z.B. RA-Micro auf einem Notebook der älteren Generation betreiben möchte, kann u.U. auch noch mit RA-Micro unter Windows 3.1 arbeiten. Empfehlenswert ist aber in jedem Fall zumindest ein 17 Zoll Monitor mit einer Auflösung von 800 x 600. Bei kleineren Monitoren wird RA-Micro nicht vollständig wiedergegeben. Wichtige Steuerlemente (Dateneingabe, Abbruch …), welche sich einheitlich am unteren rechten Bildrand befinden, werden nur zum Teil oder aber gar nicht abgebildet. Eine automatische Anpassung an die vorhandene Konfiguration wäre hier hilfreich. Das Programm bindet sowohl eine eigene 32 Bit Textverarbeitung als auch MS Winword in der jeweils aktuellesten Version ein. Die Installation geschieht in der regel durch einen RA- Micro Vertragshändler (für Berufseinsteiger kostrenfrei). Die Programm-Diskette kann aber auch selbst installiert werden. Es müssen lediglich einige System-Parameter eingegeben werden, welche durch die Online-Hilfe so erläutert werden, daß RA-Micro auch von einem EDV- Laien in weniger als einer Stunde installiert und angepaßt werden kann. Alle Anpassungen werden dabei vom Installationsprogramm in die Systemdateien hineingeschrieben, die MS Winword-Makros automatisch installiert und integriert. Die Testversion lief stabil und fehlerfrei. Offensichtlich sind mit der aktuellsten Version Programmierungsfehler beseitigt worden, welche Ende 1997 u.a. dazu führten, daß zeitweise Monat und Tag vertauscht wurden.
RA-Micro wird mit insgesamt 4 Anwenderhandbüchern geliefert, in welchen, systematisch gegliedert und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, eine umfassende Einführung gegeben wird. Bedauerlicherweise nimmt der technische Fortschritt in Form von Softwareaktualisierungen keine Rücksicht auf die publizierten Daten: die Handbücher hinken der Programmsoftware, was die Aktualität betrifft, etwas hinterher. Für Fragen steht jedenfalls eine Hotline zur Verfügung. Als besonders hilfreich erweist sich Band 4 der Anwenderhandbücher, in welchem die im Programm integrierten Textbausteine abgedruckt und erläutert werden. Individuelle Veränderungen lassen sich so dokumentieren. Selbstverständlich bietet die Jurasoft GmbH auch eine Softwareschulung an und erstellt auch Briefköpfe. Beide Leistungen sind aber kostenpflichtig. Wer sich selbst einen Briefkopf entwerfen möchte, kann dies mittels einer bereits im Grundmodul beigefügten Anwendung bewerkstelligen.
Nach dem aufrufen von RA-Micro bietet sich folgendes Bild: der Bildschrim wird fast gänzlich von insgesamt 20 Schalttafeln eingenommen, welche den Zugang zu den verschiedenen Einheiten (Dienstprogramme, Adreßverwaltung, Aktenregister Gebühren, Zwangsvollstreckung …) ermöglichen. Dabei ist natürlich zu beachten, daß nur bei einer entsprechend umfangreichen Lizenz alle Schalttafeln mit einer Anwendung verknüpft sind. Besonderers hilfreich und auch zukunftsweisend ist die Einbindung von T-Online bzw. einem sogenannten „Juristen-Browser“ auf der Basis von Microsoft Internet Explorer 4.
RA- Micro arbeitet aktenbezogen und mit einer Maskentechnik, bei der keinerlei Schwierigkeiten bestehen, zwischen verschiedenen Anwendungen zu wechseln. Nachdem erst einmal mit Hilfe der Schafttafel Dienstprogramm verschiedene Grundeinstellungen vorgenommen und die vorhandenen Sachbearbeiter mit Zugriffsrechten versehen wurden, kann sogleich eine Akte angelegt werden. Dabei orientiert sich RA-Micro an einer traditionellen Kanzleiführung. Die Aktenanlage erfordert ca. 5 Minuten. Ra-Micro unterstützt diesen grundlegenden Arbeitsvorgang durch ein Plz-, Banken-, Gerichtsorte- und Anwaltsverzeichnis. Die Überwachung der Interessenkollision wird selbsttätig vorgenommen. Die Suche nach vorhandenen Adressen ist denkbar einfach.
Das Modul Zwangsvollstreckung, das zusätzlich lizenziert werden muß, beginnt nach Eingabe des Forderungskontos entweder mit einem vorgerichtlichen Mahnschreiben oder mit einem Mahnbescheid. Die unterschiedlichen Zinsberechnungsarten werden dabei selbsttätig vorgenommen. Vorgesehen sind sowohl ein herkömmlicher und ein arbeitsgerichtlicher Mahnbescheid, ein EDV- Mahnbescheid und ein verkürzter Mahnbescheid des Mahngerichts Stuttgart. Für die EDV- Mahnbescheide besteht ein Datenträgeraustausch. Darüber hinaus enthält dieses Modul auch eine Datenmaske für einen Vollstreckungsbescheid vor.
Das Gebührenprogramm ist mit den anderen Programmteilen verbunden. Es sieht neben den Regelgebühren auch die PKH-Gebühren und einen Kostenerstattungsanspruch für Beratungshilfe vor. Bei Vereinbarung eines Zeithohorars kann über die Schalttafel Info eine Stopuhrfunktion ausgelöst werden, welche automatisch die aufgewendete Arbeitszeit erfaßt und mit dem eingegebenen Stundenhonorar verrechnet. Postauslagen können mittels eines Barcodes und eines entsprechenden Lesegeräts ebenso erfaßt und in die Gebührenabrechnung integriert werden. Eine vergleichbare Vorrichtung gibt es für Telekommunikationskosten.
Die Terminverwaltung gliedert sich nach Fristen, Widervorlagen, Gerichts- und allgemeinen Terminen. In Verbindung mit einer nach Sachbearbeitern geordneten Kanzleiübersicht, ist ein schneller Überblick über die Terminierung und Verfristung erlangt.
Die Aktenkontenbuchhaltung ist übersichtlich und komfortabel angelegt. Geordnet nach Auslagen, Gebühren und Fremdgeld läßt sich schnell ein Aktenkonto erstellen. Da dieses im Grundmodul vorhandene Anwendungsprogramm mit den Modulen Buchhaltung und Zwangsvollstreckung verzahnt ist, wird eine umfangreiche statistische Auswertung ermöglicht.
Bei einer Anwaltssoftware ist naturgemäß die Textverarbeitung von besonderer Wichtigkeit. Bei RA-Micro geschieht diese wahlweise über eine Winword Datenschnittstelle oder eine integrierte Kanzleitextverarbeitung. Letztere ist auf die wichtigsten Textfunktionen reduziert, enthält dafür aber eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Textvorlagen in Form von Klagen, Schriftsätze und Schreiben u.a. aus den Bereichen Familien-, Miet-, Arbeits-, Verkehrs- und dem Zivilprozeßrecht. Im Wege einer Makro-Technik lassen sich schnell die notwendigen Daten eingeben. In Verbindung mit dem mitgelieferten Anwenderhandbuch läßt sich ein Überblick über die vorhandenen Möglichkeiten erlangen. Bevor mit den Vorlagen Texte erstellt werden können, bedarf es aber einer eingehenden Beschäftigung mit den mitgelieferten Handbüchern. Ohne weiteres erschließt sich diese Funktion leider nicht. Auch weist die Kanzleitextverarbeitung noch geringfügige Mängel auf. So lassen sich Daten aus der Gerichtsort-Datei nicht per Mausklick in die Textverarbeitung integrieren. Es muß zunächst der Gerichtsort aufgerufen und dessen Adreßnummer notiert werden. Mit deren Hilfe kann dann erst der Gerichtsort in die Textverarbeitung übernommen werden.
Um eine weitgehend intuitive Arbeitsweise zu ermöglichen, wurde ein virtueller Arbeitsplatz entworfen, der einen schnellen Einstieg in RA-Micro ermöglichen soll, ohne daß sich zuvor mit den Anwenderhandbüchern beschäftigt werden mußte. Die Komplexität der Software setzt solchen Nutzern aber schnell Grenzen. Nicht alles läßt sich intuitiv erfassen.
RA-Micro bietet weiterhin u.a. eine Scanner-Schnittstelle zum Archivieren von Ausweispapieren oder Paßfotos und eine Schalttafel, mit der herstellerfremde Anwendungssoftware eingebunden werden kann (z.B. Becksche Gesetzestexte). Auch können mit der entsprechenden Hardware digitale Diktate erstellt werden. Zukünftig soll auch Spracherkennungssoftware mit in das Angebot eingestellt werden.
RA-Micro stellt eine ausgereifte und durchdachte Anwaltssoftware dar, welche den Kanzleialltag, unterstützt durch eingängige Symbole und hilfreiche Datenbanken, rationalisiert. Die vorhandenen Textvorlagen sind sinnvoll ausgesucht. Die Einbindung des Internets in Form des „Juristen-Browsers“, der Links zu mehr als 2000 juristischen Angeboten enthält, eine zeitgemäße Ergänzung. Da ist es zu verschmerzen, wenn die aktuellen Anwenderhandbücher noch auf sich warten lassen. Es bleibt zu hoffen, daß RA-Micro unter Windows 98 ähnlich stabil läuft wie zuletzt unter Windows 95.
Sehr gut
Rechtsanwalt Carsten M. Herrle, Kiel Internet