Plebiszitäre Elemente in einer Demokratie - Rechtsanwaltskanzlei Herrle

23. November 2010

Tipps Ö-Punkte

Plebiszitäre Elemente in einer Demokratie

Was sich seit Jahrzehnten auf der Ebene der Länder bewährt, wird auf Bundesebene mit Argwohn bedacht: Volksbefragung, Volksentscheid, Volksbegehren, Referendum (…) sind in unserem Grundgesetz nur für den Fall der Neugliederung des Bundesgebietes vorgesehen. Zur Anwendung kam dieses Verfahren zuletzt 1994. Im Rahmen der damaligen Verfassungsreform wurde u.a. versucht, die Zusammenlegung Brandenburgs und Berlins unter Beteiligung der Wahlberechtigten durch eine Vereinbarung beider Länder zu erreichen, ohne daß das dafür eigentlich vorgesehene aufwendige Verfahren angewendet werden mußte.
Um die Vor- und Nachteile plebiszitärer Elemente, und als solche werden Volksentscheid-, -befragung bzw. -begehren bezeichnet, auf bundes“politischer“ Ebene aufzuzeigen, bedarf es zunächst der Klärung, worin die Unterschiede zwischen diesen Instrumentarien liegen.
Dies veranschaulicht ein Blick in die verschiedenen Landesverfassungen, in denen überwiegend plebiszitäre Elemente vorgesehen sind.
Unter einer Volksinitiative ist das Recht der Bürgerinnen und Bürger eines Landes zu verstehen, den Landtag im Rahmen seiner Entscheidungszuständigkeit mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung zu befassen.
Was so verklausuliert in der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung steht, welche insoweit Vorbildfunktion für die Verfassungen der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatte, bedeutet nichts anderes, als daß die Bevölkerung – neben der Landesregierung bzw. den Abgeordneten – dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Entscheidung vorlegen darf. Auf Bundesebene ist dies allein der Bundesregierung, Abgeordneten und dem Bundesrat vorbehalten.
Eine solche Volksinitiative unterliegt in Schleswig-Holstein, und auch anderswo, verschiedenen Voraussetzungen. So darf sie den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates nicht widersprechen und muß von einer bestimmten Anzahl von Stimmberechtigten unterzeichnet worden sein. Ausgeschlossen sind Volksinitiativen in der Regel über bestimmte inhaltliche Fragen: in Schleswig-Holstein obliegt die Bestimmung von Landeshaushalt, Dienst- bzw. Versorgungsbezügen und öffentlichen Abgaben ausschließlich dem Parlament.
Das weiterführende Verfahren richtet sich nun danach, ob der Landtag die Gesetzesinitiative der Bevölkerung beschließt oder nicht. Allein im letzteren Falle sind die Vertreterinnen und Vertreter der Initiative berechtigt, die Durchführung eines Volksbegehrens zu beantragen. Ein Volksbegehren ist zustandegekommen, wenn innerhalb einer bestimmten Frist eine bestimmte Anzahl von Stimmberechtigten dem Volksbegehren zugestimmt hat.
Erst wenn diese Prozedur beschritten wurde, das Volksbegehren also zustandegekommen ist, muß wiederum innerhalb einer bestimmten Frist über den Gesetzentwurf bzw. die Vorlage, welche Gegenstand des Volksbegehrens war, per Volksentscheid entscheiden werden. Der Volksentscheid ist insoweit Kernpunkt und das eigentliche Ziel des auf den Voten der Bevölkerung basierenden Gesetzgebungsverfahrens, wenn zuvor eine Volksinitiative scheiterte. Ein Volksentscheid ist dann angenommen, wenn eine bestimmte Anzahl der Stimmberechtigten diesem zugestimmt haben. Der Gegenstand des Volksentscheides erlangt dann Rechtswirksamkeit.
Plebiszitäre Elemente: Ja / Nein ?

Der Umstand, daß plebiszitäre Elemente im Grundgesetz nur für die Neugliederung des Bundesgebietes vorgesehen sind, hat historische Gründe. Der Parlamentarische Rat, welcher den Text des Grundgesetzes erstellte, wollte den Gefahren einer neuerlichen Diktatur entgegenwirken und betrachtete eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie als dafür am besten geeignet. Die in der Weimarer Verfassung enthaltenen plebiszitären Elemente wurden und werden als eine der Ursachen für die Erstarkung der extremistischen Parteien angesehen, obwohl zu keiner Zeit ein Volksentscheid erfolgreich durchgeführt wurde: 1926 scheiterte ein Volksentscheid über die Frage der Fürstenenteignung; 1929 scheiterte ein Volksentscheid gegen den sog. Young-Plan. Hitler und andere Vertreter extremistischer Parteien nutzten im letzteren Fall die Möglichkeit des Volksbegehrens, um die Stimmberechtigten gegen die Regierung der Weimarer Republik aufzubringen. Stein des Anstoßes war die Festlegung von Reparationsleistungen, welche auf Jahrzehnte hinaus die Bevölkerrung mit erheblichen jährlichen Zahlungen belastetet hätten. Das Volksbegehren erreichte knapp das erforderliche Quorum von 10 % der Stimmberechtigten, was ausreichend war, um einen Volksentscheid herbeizuführen. Auch wenn der schließlich an der erforderlichen Stimmenzahl scheiterte, schadete der gesamte Vorgang dem internationalen Ansehen der Weimarer Republik. Die geschickte Manipulation der Bevölkerung führte zudem zu Masseneintritte in extremistische Parteien.
Neben der Emotionalisierung der Bevölkerung, die zu einer manipulativen Polarisierung führen kann, werden aber auch andere Argumente gegen plebiszitäre Elemente angeführt: So wird gemahnt, daß der häufige Gebrauch plebiszitärer Elemente letztlich zu einer Desensibilisierung der Bevölkerung führe, was sich in einer sinkenden Beteiligung niederschlage und sich sich auch auf die Parlamentswahlen auswirke. Bezogen auf die Schweiz, in welcher die Bevölkerung unmittelbare Mitwirkungsrechte hat, sank die Wahlbeteiligung zum Parlament von rund 80 % nach dem ersten Weltkrieg auf konstant unter 50 %. Auch wenn die Verhältnisse der Schweiz nicht auf Deutschland übertragbar und die Ursachen für das Wahlverhalten unterschiedlicher Art sind, so ist der offenkundige Bedeutungsverlust von Parlamentswahlen in der Schweiz mit der Einführung plebiszitärer Elemente nicht von der Hand zu weisen. Demgegenüber ist ein vergleichbares Wahlverhalten bei den EU-Staaten, welche plebiszitäre Elemente in ihren Verfassungen haben (u.a. Dänemark, Irland, Frankreich, Italien, Griechenland, Luxemburg, Spanien, Portugal), nicht unbedingt nachweisbar. Insbesondere hat sich in Irland und Dänemark mit mehr als 13 bzw. 16 Volksabstimmungen das Wahlverhalten nicht sonderlich geändert.
Unbestritten sind die mit der Durchführung eines Volksbegehrens bzw. eines Volksentscheides verbundenen Kosten erheblich. Allein für den Volksentscheid gegen die Abschaffung des Buß- und Bettages in Schleswig-Holstein mußten ca. 6 Mio. DM aufgewendet werden. Die Kosten für die Durchführung eines Volksentscheides auf Bundesebene würden ein Vielfaches betragen.
Gegen die Einführung plebiszitärer Elemente wird weiterhin der Umstand hervorgehoben, daß die Komplexität bestimmter Entscheidungen eine schlichte Abstimmung nicht zulasse. Am Ende jeder politischen Debatte, welche ein Gesetzesvorhaben realisieren soll, steht aber eine Entscheidung. Warum allein den Mitgliedern des Parlaments eine solche Entscheidunge vorbehalten bleiben soll, bleibt unklar. Für diese kann sich ein Volksentscheid geradezu als Chance darstellen. Die Verfahrensdauer ermöglicht es ihnen, selbst aktiv in das Geschehen einzugreifen und alternative Vorschläge zu entwickeln. Auf diese Weise können sich Alternativen ergeben, welche zuvor außer Acht gelassen wurden.
Letztlich sehe auch das Grundgesetz keine weitergehenden Entscheidungsbefugnisse des Volkes vor. Der Umstand aber, daß plebiszitäre Elemente nur ansatzweise im Grundgesetz vorgesehen sind, ist kein Hinderungsgrund, eine Veränderung vorzunehmen. Schließlich ist der Wortlaut von Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes interpretierbar, wonach „Alle Staatsgewalt (…) vom Volke aus(geht). Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Ob sich der Begriff Abstimmungen tatsächlich ausschließlich auf einen Volksentscheid zur Neugliederung der Bundesländer bezieht, was überwiegend angenommen wird, ist jedenfalls keineswegs eindeutig.
Der vor einigen Jahren verstorbene Philosoph Paul Feyerabend, ein strikter Gegner jeglichen Expertentums, hätte sicherlich seine Freude daran gehabt zu beobachten, daß Initiativen aus dem Volk unmittelbar an politischen Entscheidungen mitwirken. Als Allheilmittel dürfen Volksbegehren und Volksentscheid jedoch nicht verstanden werden. Zwar ließen sich auf diese Weise politische Entscheidungen absichern, womit möglicherweise eine Stärkung der jeweiligen Regierung verbunden wäre. Auch unterlägen Parlament und Regierung einer weiteren Kontrolle durch das Volk. Dadurch bekäme aber unsere repräsentative Demokratie einen ganz anderen Charakter. Die ohnehin bevorstehenden Veränderungen in Europa stellen einen weiteren Unsicherheitsfaktor dar. Von den Erfahrungen anderer EU-Staaten mit plebiszitären Elementen ließe sich aber wiederum lernen. Warum die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland mit einem solch scharfen Instrument wie dem Volksentscheid nicht maßvoll umgehen sollten, läßt sich im vorhinein eben nicht klären.
Die bloße Möglichkeit der Durchführung eines Referendums hat in der Schweiz dazu geführt, daß häufig Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erfolgen, um die zeitaufwendige Prozedur zu vermeiden. Das führte dazu, daß das schweizerische System als eher konservativ, wenig beweglich und Neuerungen gegenüber unaufgeschlossen charakterisiert werden kann. Wäre unter diesen Bedingungen in Deutschland eine innovative Europa- oder Energiepolitik überhaupt noch möglich?Mit Einführung plebiszitärer Elemente sind in jedem Fall Politikerinnen und Politiker stärker gefordert, eine sachbezogene Politik zu betreiben. Dies allein könnte schon ausreichend sein, um einem Volksentscheid entgegenzuwirken.
Mit der Einführung plebiszitäre Elemente in das Grundgesetz entstünden aber weitere Fragen: Sollten tatsächlich alle politischen Entscheidungen durch eine Volksinitiative gekippt werden können? Was ist mit Reizthemen wie, Euro, Gentechnik und Abtreibung. Wie soll eine rationale Debatte über diese Themen geführt werden? Auch die Befürworter plebiszitärer Elemente können darauf keine zufriedenstellende Antwort geben. So ist die Publizierung von Informationsmaterial, welches den Bürgerinnen und Bürgern vor einem Volksentscheid überreicht werden soll, sicherlich nur eine unbefriedigende Lösung.
Fazit
Es spricht vieles dafür, Entscheidungen welche tief in gesellschaftliche Verhältnisse eingreifen, denjenigen zu überlassen, welche letztlich damit leben müssen. Würden dann aber überhaupt Veränderungen stattfinden? Angesichts eines Vereinten Europas, in dem eine einheitliche Währung Vorteile birgt, ist es sehr fraglich, ob Deutschland der Währungsunion tatsächlich beigetreten wäre, wenn die Entscheidung im Weg einer Volksinitiative getroffen worden wäre.
Die Erfahrungen und das Selbstverständnis, mit dem die Bevölkerung einiger Bundesländer, teilweise auch gegen den heftigen Widerstand der jeweiligen Landesregierung, im Wege des Referendums Entscheidungen getroffen haben, zeugt von Politikverständnis und einem angemessenen Umgang mit diesem Instrumentarium. Daß dies auf Bundesebene anders sein sollte, leuchtet nicht ein. Ob aber mit einem Volksentscheid jedwede politische Entscheidung zur Disposition gestellt werden darf, erscheint sehr problematisch. Eine kategorische Ablehnung plebiszitärer Elemente ist aber sicherlich genauso verfehlt wie deren bedingungslose Akzeptanz.
Nachtrag I

Die Abwahl des Oberbürgermeisters der Stadt Duisburg, Adolf Sauerland stellt auf kommunaler Ebene ein aktuelles Beispiel einer funktionierenden Bürgerbeteilung dar. Gemäß § 26 der Gemeindeordnung der Stadt Duisburg konnte beantragt werden, dass statt des Rates der Stadt Duisburg die Gemeinde selbst ihre Entscheidungsbefugnis ausübt. Ein solcher Bürgerentscheid ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft:
– Es muss ein Antrag auf Bürgerentscheid in Schriftform vorliegen.
– Der Antrag muss die zur Entscheidung zu stellende Frage, eine Begründung und einen nach den gesetzlichen Vorschriften durchführbaren Kostendeckungsvorschlag enthalten
– Es müssen bis zu drei Personen benannt sein, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten.
– Jede Liste mit Unterzeichnungen muss den vollen Wortlaut des Antrags enthalten und die Person des Unterzeichnenden nach Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Anschrift angeben.
Alles weitere entnehmen Sie bitte der Regelung selbst.
§ 26 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfahlen
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
(1) Die Bürger können beantragen (Bürgerbegehren), daß sie an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden (Bürgerentscheid). Der Rat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder beschließen, dass über eine Angelegenheit der Gemeinde ein Bürgerentscheid stattfindet (Ratsbürgerentscheid). Absatz 2 Satz 1 sowie die Absätze 5, 7, 8 und 10 gelten entsprechend.
(2) Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden und die zur Entscheidung zu bringende Frage sowie eine Begründung enthalten. Es muss bis zu drei Bürger benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten (Vertretungsberechtigte). Bürger, die beabsichtigen, ein Bürgerbegehren durchzuführen, teilen dies der Verwaltung schriftlich mit. Die Verwaltung ist in den Grenzen ihrer Verwaltungskraft ihren Bürgern bei der Einleitung eines Bürgerbegehrens behilflich. Sie teilt den Vertretungsberechtigten schriftlich eine Einschätzung der mit der Durchführung der verlangten Maßnahme verbundenen Kosten (Kostenschätzung) mit. Die Kostenschätzung der Verwaltung ist bei der Sammlung der Unterschriften nach Absatz 4 anzugeben.
(3) Richtet sich ein Bürgerbegehren gegen einen Beschluß des Rates, muß es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntmachung des Beschlusses eingereicht sein. Gegen einen Beschluß, der nicht der Bekanntmachung bedarf, beträgt die Frist drei Monate nach dem Sitzungstag. Nach der schriftlichen Mitteilung nach Absatz 2 Satz 3 ist der Ablauf der Fristen aus Satz 1 und Satz 2 bis zur Mitteilung der Verwaltung nach Absatz 2 Satz 5 gehemmt.
(4) Ein Bürgerbegehren muss in Gemeinden
– bis 10.000 Einwohner von 10 %
– bis 20.000 Einwohner von 9 %
– bis 30.000 Einwohner von 8 %
– bis 50.000 Einwohner von 7 %
– bis 100.000 Einwohner von 6 %
– bis 200.000 Einwohner von 5 %
– bis 500.000 Einwohner von 4 %
– über 500.000 Einwohner von 3 %
der Bürger unterzeichnet sein.
Die Angaben werden von der Gemeinde geprüft. Im übrigen gilt § 25 Abs. 4 entsprechend.
(5) Ein Bürgerbegehren ist unzulässig über
1. die innere Organisation der Gemeindeverwaltung,
2. die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Rates, der Bezirksvertretungen und der Ausschüsse sowie der Bediensteten der Gemeinde,
3. die Haushaltssatzung, die Eröffnungsbilanz, den Jahresabschluss und den Gesamtabschluss der Gemeinde (einschließlich der Wirtschaftspläne und des Jahresabschlusses der Eigenbetriebe) sowie die kommunalen Abgaben und die privatrechtlichen Entgelte,
4. Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen, wasserrechtlichen oder vergleichbaren Zulassungsverfahrens zu entscheiden sind,
5. die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen mit Ausnahme der Entscheidung über die Einleitung des Bauleitplanverfahrens.
Ein Bürgerbegehren darf nur Angelegenheiten zum Gegenstand haben, über die innerhalb der letzten zwei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid durchgeführt worden ist.
(6) Der Rat stellt unverzüglich fest, ob das Bürgerbegehren zulässig ist. Gegen die ablehnende Entscheidung des Rates können nur die Vertreter des Bürgerbegehrens nach Absatz 2 Satz 2 einen Rechtsbehelf einlegen. Entspricht der Rat dem zulässigen Bürgerbegehren nicht, so ist innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid durchzuführen. Entspricht der Rat dem Bürgerbegehren, so unterbleibt der Bürgerentscheid. Den Vertretern des Bürgerbegehrens soll Gelegenheit gegeben werden, den Antrag in der Sitzung des Rates zu erläutern. Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Feststellung des Ergebnisses des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden (Sperrwirkung des zulässigen Bürgerbegehrens).
(7) Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Die Frage ist in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden mit
bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 Prozent,
über 50.000 bis zu 100.000 Einwohnern mindestens 15 Prozent,
mehr als 100.000 Einwohnern mindestens 10 Prozent
der Bürger beträgt.
Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Sollen an einem Tag mehrere Bürgerentscheide stattfinden, hat der Rat eine Stichfrage für den Fall zu beschließen, dass die gleichzeitig zur Abstimmung gestellten Fragen in einer miteinander nicht zu vereinbarenden Weise beantwortet werden (Stichentscheid). Es gilt dann diejenige Entscheidung, für die sich im Stichentscheid die Mehrheit der gültigen Stimmen ausspricht. Bei Stimmengleichheit im Stichentscheid gilt der Bürgerentscheid, dessen Frage mit der höchsten Stimmenzahl mehrheitlich beantwortet worden ist.
(8) Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Vor Ablauf von zwei Jahren kann er nur auf Initiative des Rates durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden.
(9) In kreisfreien Städten können Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in einem Stadtbezirk durchgeführt werden, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, für welche die Bezirksvertretung zuständig ist. Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend mit der Maßgabe, daß
1. das Bürgerbegehren von im Stadtbezirk wohnenden Bürgern unterzeichnet sein muss,
2. bei einem Bürgerentscheid nur die im Stadtbezirk wohnenden Bürger stimmberechtigt sind,
3. die Bezirksvertretung mit Ausnahme der Entscheidung nach Absatz 6 Satz 1 an die Stelle des Rates tritt.
(10) Das Innenministerium kann durch Rechtsverordnung das Nähere über die Durchführung des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids regeln. Dabei sind die § 32 Abs. 6, § 34a und § 41 der Kommunalwahlordnung zu berücksichtigen.
Nachtrag II
Auch in Schleswig Holstein geben die Gemeindeordnung und Kreisordnung den Wahlberechtigten die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben selbst zu entscheiden. Besteht beispielsweise Bedarf an zusätzlichen Kindergärten, Sporteinrichtungen u.a., so kann mit Hilfe eines Bürgerbegehrens ein Bürgerentscheid beantragt werden. Das Bürgerbegehren ist insoweit als Vorstufe zum eigentlichen Bürgerentscheid zu werten. Ohne Bürgerbegehren gibt es keinen Bürgerentscheid.
Das Bürgerbegehren muss also von zumindesten zehn Prozent aller Wahlberechtigten in der jeweiligen Kommune unterzeichnet sein. Wenn sich das Bürgerbegehren u.a. gegen einen Beschluss der Gemeinde- oder Stadtvertretung richtet, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses schrichtlich eingereicht sein. Es muss in Form einer Frage eingereicht werden, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann. Es muss auch zeigen, wie die Kosten der angestrebten Maßnahme gedeckt werden sollen.
Zu einem Bürgerentscheid kommt es u.a. auf Antrag der Bürger (Bürgerbegehren). Er ist erfolgreich, wenn eine Mehrheit der stimmberechtigten Bürger die gestellte Frage mit „Ja“ beantwortet und diese Mehrheit mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten beträgt. Es können aber nur u.a. Angelegenheiten der Gemeinde beziehungsweise des Kreises beschlossen werden. Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Landes oder des Bundes fallen, sind ausgeschlossen.
 

§ 16 c Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein
Bürgerentscheid, Bürgerbegehren
(1) Die Gemeindevertretung kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln. der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreterinnen und -vertreter beschließen, dass Bürgerinnen und Bürger über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben selbst entscheiden (Bürgerentscheid).
(2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über
– Selbstverwaltungsaufgaben, die zu erfüllen die Gemeinde nach § 2 Abs. 2 verpflichtet ist, soweit ihr nicht ein Entscheidungsspielraum zusteht,

– Angelegenheiten, über die kraft Gesetzes die Gemeindevertretung entscheidet (§ 28 Satz 1 Nr. 1),

– die Haushaltssatzung einschließlich der Wirtschaftspläne der Eigenbetriebe sowie die kommunalen Abgaben und die privatrechtlichen Entgelte,

– die Jahresrechnung oder den Jahresabschluss der Gemeinde und den Jahresabschluss der Eigenbetriebe,
– die Hauptsatzung,
– die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen,

– die Rechtsverhältnisse der Gemeindevertreterinnen und -vertreter, der kommunalen Wahlbeamtinnen und -beamten und der Beschäftigten der Gemeinde,

– die innere Organisation der Gemeindeverwaltung,
– Entscheidungen in Rechtsmittelverfahren.(3) Über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben können die Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Ein Bürgerbegehren darf nur Selbstverwaltungsaufgaben zum Gegenstand haben, über die innerhalb der letzten zwei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid aufgrund eines Bürgerbegehrens durchgeführt worden ist. Richtet sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung oder eine Entscheidung, die aufgrund einer Übertragung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 durch den zuständigen Ausschuss getroffen wurde, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses oder der Entscheidung eingereicht sein. Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden und die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung sowie einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Das Bürgerbegehren muss bis zu drei Personen benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten.

(4) Das Bürgerbegehren muss von mindestens 10 % der Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet sein.
(5) Über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens entscheidet die Kommunalaufsichtsbehörde. Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, darf bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegen stehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt bestehen rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu. Der Bürgerentscheid entfällt, wenn die Gemeindevertretung oder der zuständige Ausschuss die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahmen in unveränderter Form oder in einer Form beschließt, die von den benannten Vertretungsberechtigten gebilligt wird. Dieser Beschluss kann innerhalb von zwei Jahren nur durch einen Bürgerentscheid nach Absatz 1 abgeändert werden.
(6) Wird ein Bürgerentscheid durchgeführt, muss die Gemeinde den Bürgerinnen und Bürgern die Standpunkte und Begründungen der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses und der Antragstellenden des Bürgerentscheids in gleichem Umfange schriftlich darlegen.
(7) Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit mindestens 20 % der Stimmberechtigten beträgt. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Ist die nach Satz 1 erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden, hat die Gemeindevertretung oder der zuständige Ausschuss die Angelegenheit zu entscheiden.
(8) Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines endgültigen Beschlusses der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses. Er kann innerhalb von zwei Jahren nur durch einen Bürgerentscheid nach Absatz 1 abgeändert werden.