"Sie sind Anwalt, wir sind Anwälte" - Rechtsanwaltskanzlei Herrle

23. November 2010

Urheber- und Internetrecht Zeitschrift Advonet

"Sie sind Anwalt, wir sind Anwälte"

 
Eigentlich ist es schon verwunderlich, dass sich gerade die Anwaltszunft gegen Abmahner in eigenen Reihen auflehnt. Denn aus welchem Grund sollte das scharfe Instrumentarium der außergerichtlichen Streitbeiliegung nicht auch unter Anwälten Anwendung finden. Die Berufsgruppenzugehörigkeit immunisiert gerade nicht davor. Und dass mit Zunahme der Konkurrenz die Pfründe mit allen zulässigen (und unzulässigen) Mittel verteidigt werden, liegt auf der Hand.
Selbstverständlich haben es gerade diejenigen Anwälte schwer, welche mit modernen Kommunikationsmedien oder schlichtem Einfallsreichtum versuchen, ihren Dienstleistungscharakter verstärkte (z.B. durch von Rundschreiben und informative Homepages) hervorzuheben. Dass diesen Maßnahmen natürlich Grenzen gesetzt sind, liegt auf der Hand. Aus welchem Grunde sollte auch z.B. ein Kieler Anwalt, der sich auf dem Briefkopf seit Jahren mit einer nie erworbenen Fachanwaltschaft brüstet, unbeschadet davonkommen?
Hohe Erwartungen werden in eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gesetzt, das anders als die vorherigen Instanzen, zwischen Werbeträger und Werbeinhalten differenziert. Weil letztlich jede Werbung berufsbezogene Informationen enthalte, sei strikt zwischen werbewirksamen Verhalten und gezielter Werbung zu unterscheiden. Wenn Werbemethoden ausschließlich Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen und am Gewinn orientierten Handeln sind, dann läge eine unzulässige Werbemethode vor. Dies ist an und für sich natürlich nicht neu. Hervorzuheben ist jedenfalls dabei, dass die Unzulässigkeit nicht schon daraus gefolgert werden kann, dass die Werbemaßnahmen anders als bislang gestaltet werden, also zeitbedingten Veränderungen unterworfen sind. Dies lässt Raum für Innovationen.
Wie dem auch sei. Was in den letzten Monaten seit einem Artikel der Zeitung „Der Tagesspiegel“ vom 15. April 2000 unter dem Stichwort „Abmahnwelle unter Anwälten“ bekannt gewordenen ist (mittlerweile sind ca. 50 Fälle bekannt geworden, wobei die Dunkelziffer nicht unbeträchtlich sein dürfte), unterscheidet sich jedenfalls nicht sonderlich von dem, was in anderen Wirtschaftsbereichen an der Tagesordnung steht: Wer „neue“ Werbemethoden anwendet, unterliegt dem Risiko der Abmahnung, kann aber auch für sich den Bonus der Priorität / Innovation verbuchen, wenn er sich nur erfolgreich der Angriffe der Konkurrenz erwehrt.
Was an anderer Stelle unter dem Stichwort Dinslakener Anwaltskrieg als regionales Phänomen beschrieben wurde, existiert also tatsächlich schon längst auf Bundesebene, auch wenn letzteres in seinen Auswüchsen nicht an die Geschehnisse in Dinslaken heranreicht. Die bundesweit geführte Abmahnwelle, maßgeblich initiiert durch eine Berliner Anwaltskanzlei, hat mittlerweile – wie immer in solchen Fällen – zu einer verstärkten Solidarität unter Anwälten geführt. So haben Abmahnopfer im Internet ein Forum gefunden, in dem auch zu dieser Problematik Fragestellungen diskutiert werden. Zur Zeit beteiligen sich an diesem Listserver (ANWALT Mailingliste), hervorgegangen aus dem Arbeitskreis Internet der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, welche den Server auch finanziell trägt (vgl. dazu auch den nebenstehenden Kasten), ca. 450 Anwälte aus dem ganzen Bundesgebiet. Auch andere Berufsstände nutzen dieses Forum. So versuchte vor kurzem eine Berliner Richterin sich über den Sachstand der sog. Abmahnwelle zu informieren, da sie in einer vergleichbaren Sachkonstellation zu entscheiden hatte.
Betroffenen Anwälten monieren, dass durch die Berliner Anwaltskanzlei „jede Kleinigkeit“ abgemahnt werde. Auch mehrfache Abmahnungen hintereinander würden vorkommen, wobei der Streitwert zwischen 25.000,- DM bis 100.000 Euro liegen würde. Tatsächlich werden durch die Berliner Kanzlei Internet-Adressen, Kanzlei-Homepages, Kanzleilogos und auch einzelne Sätze gerügt. Die Abmahnungen selbst erscheint nach Einschätzung abgemahnter Anwälte wie aus Textbausteinen zusammengesetzt. So beginnen die in der Regel mit der Einleitung: „Sie sind Anwalt, wir sind Anwälte“.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die erwähnte Berliner Kanzlei überregional bekannte Großkanzleien, vielmehr deren Werbemaßnahmen, offensichtlich unbehelligt lässt, obwohl darin deren polyglotter Charakter mit fulminaten Wortschöpfungen hervorgehoben wird. Wie sollte anders z.B. ein „premium legal service“ zu verstehen sein. Oder liegt es daran, dass die Gerichtssprache noch immer deutsch ist und solche Beschreibungen daher der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterliegen?
Die Abmahnopfer haben erwogen, den abmahnenden Anwalt standes- und strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, da es als „unkollegial“ betrachtet wird, die Erstabmahnung sogleich mit einer Kostennote zu begleiten. Es dränge sich in diesem Zusammenhang der Eindruck der bloßen Gebührenschinderei auf. Zutreffend wird in diesem gleichzeitig festgestellt, dass sich die im Wettbewerbsrecht tätigen Anwälte an den eigenen Kopf fassen sollten, da diese „seit Jahren in gleicher Weise mit überzogenen Streitwerten über arglose Gewerbetreibende herfallen“ würden. Die „unsinnige Rechtserfindung, die Erstmahnung sogleich dem Gegner in Rechung stellen zu dürfen“, habe diese Unsitte „prämiert und zur Goldader gemacht“. Rächen sich also – freie nach Disney – die durch den Zauberlehrling beschworenen Geister?
Die sicherlich begrüßenswerte Kritik an der bestehenden Rechtslage umschreibt mit treffenden Worten das Dilemma: aus welchem Grunde sollten wettbewerbs- und standesrechtliche Maßnahmen vor dem eigenen Berufsstand halt machen. Die Antwort ist schlicht und einfach: solange die Berufsordnung der Anwälte hinsichtlich der Werbemöglichkeiten – vermeintlich – unscharf bleibt und keine ausreichende Anzahl von Gerichtsentscheidungen vorliegen, solange wird es Abmahnungen auch gegen den eigenen Berufstand geben. Wer sich dagegen zu wehr setzen möchte, dem bleibt letztlich nur die negative Feststellungsklage. Er kann aber gleichzeitig auch versuchen, unmittelbar Maßnahmen (Beschwerde bei der jeweils zuständigen Anwaltskammer; Strafanzeige wegen rechtsmissbräuchlicher Verwendung wettbewerbsrechtlicher Instrumentarien usw. ) gegen den jeweiligen Abmahner einleiten.
Und sich zur Wehr zu setzen erscheint immer öfter von Erfolg gekrönt zu sein. So hat die Berliner Kanzlei kürzlich ihre einstweilige Verfügung gegen eine Wuppertaler Kanzlei zurückgenommen, da diese – u.a. mit Unterstützung anderer, teilweise auch selbst betroffener Anwälte – einen episch breiten Erwiderungsschriftsatz eingereicht hat, dem die Berliner Kanzlei – möglicherweise – nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
Erwähnenswert ist, dass beinahe alle abgemahnten Anwälte die örtliche Zuständigkeit der von der Berliner Kanzlei angerufenen Gerichte, zumeist die Landgerichte in Berlin und Potsdam, gerügt haben. Das hat mittlerweile dazu geführt, dass sich eine Kammer des Landgerichts Berlin für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit verwiesen hat. Denn zuständig sei das Gericht am Ort der gewerblichen Niederlassung des abgemahnten Anwalts. Die „Kläger seien nicht unmittelbar Verletzte, für welche § 24 UWG nicht gelte, da sie nicht denselben Kundenkreis wie der Beklagte“ habe. Die Kammer halte es nicht für gegeben, dass nach Zulassungsbeschränkung zu den Landgerichten sämtliche Rechtsanwälte Deutschlands in unmittelbaren Wettbewerb stünden. Es liege vielmehr nur ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis vor, da es zwar theoretisch denkbar sei, dass die Parteien um Mandanten konkurrieren, konkrete Berührungspunkte aber nicht vorgetragen wurden.
Für den Fall einer Abmahnung ist es also in jedem Fall sinnvoll, sich mit anderen Betroffenen zwecks Erfahrungsaustausch zusammenzuschließen. Die bereits genannte Maillingliste ist dafür eine besonders geeignete Plattform, da dort bereits in organisierter Form Informationen weitergegeben werden.